Es ist vollbracht. 4 Tage Tango Tango Tango Tango. Wie gehts uns Wienern, wenn es einmal nichts zum Raunzen gibt? Gar nicht so schlecht. So ignorant sind wir dann doch nicht, um Klasse nicht zu erkennen. Und es war einfach gut. Punkt.
Tangoamadeus in Wien, 1. internationales Tango Argentino Festival, Workshops im Palais Palffy, Milongas u.a. im Kursalon Hübner und Palais Eschenbach, Frumboli/Sepulveda, Arce/Montes, Cappussi/Flores, Cristos, Bajar, Lanner.
Keine Förderungen von Unternehmen und Stadt Wien, AKM und Vergnügungssteuer gnadenlos. Das kann nur schief gehen, Verluste im 5-stelligen Bereich, schlechte Laune weil Veranstalterinnen zu Recht unentspannt, die sensiblen Maestros schwer empathisch als künstlerisches Selbstverständnis, somit katastrophale Workshops vorprogrammiert, sich beschwerende Ausländer (= natürlich alle nicht aus Wien) und irgendeine Technik wird schon irgendwo nicht klappen. Wetter sowieso mies, weil Aschewolke und in letzter Zeit sowieso Dauerregen und Temperaturen im Schnitt um 27°C zu kalt.
Dass der Euro grad crasht und die Mutter am Sonntag gepriesen werden will, trägt zur Eskalation bei. Also los gehts, mit den Voraussetzungen und Einstellungen werden die nächsten 4 Tage sicher ur-super.
Meine erste ehrenwerte Aufgabe am Mittwoch bestand darin Arce/Montes, Frumboli/Sepulveda vom Flughafen abzuholen. Und? Verspätung, eh klar. Also nur den Russen (also Arce, weil der wohnt dort) eingepackt, der aussah, als ob er gerade irgendeinen Casting-Wettbewerb und Dolce&Gabbana als Fetzensponsoren gewonnen hätte.
Kommunikationsfähigkeit wie ein drogensüchtiges Fotomodell (stumm), und ständig via iphone (was sonst) SMS an alle möglichen Leute verschickt. Im Hotel an Veranstalterin übergeben und jetzt war ich sicher, dass das Ganze ein Riesen-Schas wird.
Donnerstag
Erste Zweifel am nächsten Tag zu Mittag. Eine gut aufgelegte, etwas postalkoholische Veranstalterin verwandelte die Galerie in ein Festivaloffice mit professionellen Beschriftungen, Informationen, Aufstellern, das freiwillige Personal wusste was zu tun ist, als dann dem ersten Kunden ein geschlossenes Kuvert mit seinem Namen überreicht wurde, war mir klar, dass wir zumindest die griechischen Festivals hinter uns lassen würden.
TJane Veronika de Bares K. hielt musikalisch was ihr Name verspricht, und Nachmittagsmilongas haben ohnehin einen besonderen Charme, eine perfekte Möglichkeit Leute kennen zu lernen, v.a. ihr wahres Gesicht, weil das Nachmittagslicht verzeiht nichts. Andrang überschaubar, aber durch die besondere Stimmung, vernachlässigbares Detail.
Galeria durch diverse Umbaumaßnahmen, –Säulenverkleidungen weg, ein paar Couches raus– doch gewachsen. Gegen 19Uhr ertönte die Festivalhymne Amadeus (von Falco sicherheitshalber schon Jahrzehnte vor dem Festival geschrieben, aber gute Künstler haben immer einen Riecher was kommt). Leider keine Möglichkeit die Eröffnungsmilonga zu besuchen, weil der rote Bulle aus Fuschl doch einiges verlangt im Moment, und da eh grad Krise, stell ich mich gerne ehrenamtlich hochbezahlt in seine Dienste. OK, also erster Tag gelungen, wahrscheinlich ein Zufall.
Freitag
Leicht übernachtig gegen 12 Uhr in die Galerie, die diversen Helferlein mit Nahrung (Kaffee und Gulaschssuppe) versorgt und auf die ersten Katastrophenmeldungen der Eröffnungsmilonga gewartet. Und? Nichts, nada, nur entspannte Menschen rund herum. Das verunsichert den Wiener, irgendwo ist immer ein Hund begraben, aber wenn niemand anfängt zu graben, dann ist der Wiener meist zu faul, die Schaufel zu suchen.
Bei mir kommt eine weitere Eigenschaft dazu. Ich finde nie etwas, und wo krieg ich jetzt eine Schaufel her? Ab 16h gings dann richtig los, gute Tänzerinnen (Rumänien!, Schweiz!) erwischt und nicht eine, nicht zwei, nicht vier, sondern meist gleich 3 Tandas getanzt. Luftfeuchtigkeit war höher als sonst, lags am Wetter, an den Gästen, am Tanzstil, am Niveau, wie auch immer, auf jeden Fall voll Stolz die neuen Ventilatoren eingeschaltet.
Gegen Schluss ganz besondere Stimmung, hätte länger dauern können, aber die Abendmilonga im Zögernitz stand am Programm. 30 Minuten PowerNap zuhause, 1h wach werden mit 1l Kaffee und dann ab ins Zögernitz. Dort ein Genie am Mischpult und wie so oft bei den sensiblen Künstlern immer das resolute Weib um ihn herum, die ihm ständig irgendwas erzählte. Egal, es hielt ihn nicht davon ab, unglaubliche Musik aufzulegen. Wo kriegt der das her, ich brauchte 3 Nachmittage um in BsAs einen Donato aufzutreiben. Und dieser Grieche (ein Grieche!) hat Versionen, das glaubst Du nicht. Also Du vielleicht schon, ich nicht.
Auftritt Cappussi/Flores – ich kenne beide auch privat und sie sind wirklich nett. Es hat allen gefallen und ich finde diese verdammte Schaufel sowieso nicht. Viel getanzt, viel getrunken (der VIP Rotwein war wie die Musik viel zu gut) und keine Ahnung wann nach Hause. Das Aufstehen am nächsten Tag war hart.
Samstag
Das griechische Genie samt Sprechanhang mit Kaffee versorgt und los ging die Nachmittagsmilonga. Da gibts jetzt nicht viel zu bloggen, siehe Freitag, es war schön, besonders, Freude am Mensch-Sein. Wieder kurzer PowerNap und ernsthaft mit dem Gedanken gespielt einfach weiter zu schlafen. Aber das Tango-Über-Ich ließ das nicht zu, rein ins schwarze Gucci und ab in den Kursalon Hübner.
Das ist ja mal eine Tangolocation wie sich das die imperial vergangenen Wiener so träumen. Auch wenn der Tango aus der Gosse kommt, hier hat er sich hoch-getanzt. Viele folgten dem Ruf, ich dachte, ich kenne die gesamte Szene, aber entweder 150 von den geschätzten 400 waren nicht Szene, oder falsch gedacht. Auf der pista waren eher tumultartige Zustände, war mir im ersten Moment nicht klar, ob die tanzen, oder demonstrieren. Bin immer wieder verwundert, wie sich gerade die nicht so Erfahrenen diese Tanz-Erfahrung zu diesem Zeitpunkt einer Milonga antun.
Bevor die maestros nicht getanzt haben, sieht mich diese pista sicher nicht, ich sie schon und zwar vom guten Tisch mit einem guten Glas Rotwein in der Hand. Irgendwann nach Mitternacht dann Ansage durch eine wohlbekannte Ö1 Stimme und solche Kleinigkeiten machen die Größe des Ganzen aus.
Auftritt Frumboli/Sepulveda
Die sind auch psychologisch gut, bei ihm denkst Dir immer, das gibts nicht, wie kann sich der überhaupt bewegen und sie ist einfach so gut, dass sie die auf ihn projizierte Ungläubigkeit der stattfindenden Bewegungen noch verstärkt durch ihre. Die veredelt jeden, aber natürlich zu feig, sie später um diese Veredelung zu bitten. Dann passierte etwas wirklich Außergewöhnliches. Man glaubte zu sehen, dass es Chicho richtig Freude bereitet hier zu sein und man interpretierte es auch in die Zugabe hinein.
Gutes Publikum, passte wie so vieles zum gesamten Festival. Danach direkt vom Cirque de Soleil Arce/Montes. Neben beeindruckenden Tanzvorführungen wurde die alte griechische Tradition des Monologs wieder aufgenommen. Da wir gegenüber Stars generell höflich und leicht unterwürfig sind, haben alle so getan, als hätten sie ihn verstanden und es wurde auch an den richtigen Stellen gelacht. Wieder so ein kleines Detail…
Hatten den größten Applaus, zu Recht oder nicht, das Publikum irrt nie, das haben wir auch von den Griechen gelernt, die nannten das Demokratie. Wir haben eh viel von denen bekommen, also von den Griechen, dass da mal eine Rechnung kommt, noch dazu so eine hohe, war nicht geplant, aber so ist es nun mal. Wenn jetzt die Spanier auch anfangen zu überlegen, was sie uns gegeben haben, wirds wahrscheinlich nicht so teuer (Stierkampf, was kann das kosten?, Paella, geschenkt!), bei den Italienern könnte es wieder teurer werden. Lassen wir uns überraschen, Tango tanzen kann man auch in der Krise, gerade dort besonders authentisch.
Pista leerte sich nach Auftritten nicht merklich, egal, mit 4 Jahren Karate kommt man schon durch.
Sonntag
Das Aufstehen wird härter, der Badezimmerspiegel ist vor Scham angelaufen als er mich erblickte. Gulaschsuppe wirkt Wunder, die Lebensgeister kehren zurück und der deutsche Syrier TJ mit Morgenland-Abneigung (von Damaskus nach Münster) toppte sogar noch die Gulaschsuppe.
Der Körper ist schon ein Wunder. Wenig Schlaf, stundenlange körperliche Bewegung und dann noch gut drauf. Diesmal länger gespielt und getanzt, weil gar so viel schön, zum Schluss mit Sekt angestoßen, Umarmungen, die üblichen Verabschiedungsrituale von Menschen, die man eigentlich nicht kennt, aber denen man sich aus diversen Gründen (Alkohol, durchs Tanzen ausgeschüttete Endorphine) doch recht nahe fühlt.
Diesmal kein PowerNap, ich wäre nicht mehr erwacht, trotzdem recht spät ins Palais Eschenbach. Würdiger Abschluss in ebensolchem Rahmen, großer Applaus für alle Beteiligten, natürlich besonders für Vera und Marion, die beiden Organisatorinnen.
Es ist ohne Bedeutung, ob ich stolz bin, was hier auf die Beine gestellt wurde, aber ich bin es dennoch. Jeder, der irgendwann einmal in seinem Leben mit Organisation von events zu tun hatte, der Künstler betreute, der sich auf Technik verlassen musste, der die Klaviatur der Medien spielen können musste (website, facebook), der es mit doch manchmal recht mühsamen Kunden („…wenn ich das Milongapaket ohne die Sonntagsmilonga nehme, gibt es da auch ein Paket?“) zu tun hatte, weiß, was hier geleistet wurde.
Was hinzu kommt ist, dass bei diesem event, nicht aus einer Angestelltenposition Auftragsarbeit erledigt wurde (was auch gute Ergebnisse bringt), sondern volles persönliches Risiko genommen wurde mit allzu guten Aussichten auf hohe finanzielle Verluste. Aber manche Dinge müssen eben getan werden, egal, wie falsch oder richtig diese Dinge von allzuviel Wohlmeinenden (mir inklusive) eingeschätzt werden. Natürlich wäre es billiger gewesen mit allen Milongas an die Stadtränder zu gehen, oder auch nach St. Pölten, natürlich hätte man nur ein Star-Paar einladen können, es gibt billigere Live Music, TJs haben wir auch.
Aber die Veranstalterinnen wussten was sie sich, dem Tango, dem internationalen Publikum, dem heimischen Publikum (bei allem Geraunze) und nicht zuletzt der wunderbaren Stadt Wien schuldig sind und haben aus dem vollen geschöpft. Und sie wurden belohnt, mit vielen Glücksgefühlen über das Erreichte, mit Stolz, mit Anerkennung und sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass der Tango Argentino in Wien kein weißer Fleck mehr auf der internationalen Tango-Landkarte ist. Chapeau les Dames !
Gran abrazo
Don Xello